BYSSOS - Auf Sardinien das Gold des Meeres

BYSSOS – Auf Sardinien das Gold des Meeres

Byssus, bekannt als das Geold des Meeres, hat einen legendären, sehr antiken Ruhm: in der Bibel wird es als das Gewebe von König Salomon und der Königin Ekabe bezeichnet und auch Aristotele erzählt von ihm.

Chiara Vigo, Byssos-Meister

Chiara Vigo, Byssos-Meister

Jedes Jahr, beim ersten Mai-Vollmond, taucht eine Frau ins Meer, um dieses Gold zu sammeln, es in Garn zu verarbeiten und dann davon fabelhafte Gewebe zu fertigen. Dies scheint die Erzählung eines Mythos zu sein, stattdessen geschieht dies noch heute in Italien: die Frau heißt Chiara Vigo und lebt auf der Insel Sant’Antioco, die größte der Inseln um Sardinien, gelegen im Südwesten und ca. 80 km von Cagliari entfernt. Historiker nennen die Stadt Sant’Antioco als die antikste Stadt Sardiniens, die wahrscheinlich von den Phöniziern (Bewohner des heutigen Libanons) im VII Jahrhundert v. Chr. gegründet wurde. Es wird vermutet, dass unter ihrer Herrschaft das Byssus auf die Insel gekommen ist, die als sein ‚Reich‘ bezeichnet wird. Byssus ist nichts anderes als eine Faser tierischer Herkunft von besonderem Wert, die von der Großen (oder Edlen) Steckmuschel (Pinna Nobilis) produziert wird, die in einer Tiefe von ca. 3 m im Mittelmeer lebt und während ihrer Ernährung einen besonderen Speichel entwickelt, der beim Kontakt mit dem Meereswasser zu Seide wird. Sein dunkles Amber wird unter den Strahlen der Sonne zu Gold.

Auf Sant’Antioco besteht eine wahre Tradition des Byssos-Webens, die den Bewohnern heilig ist. Es gibt hier Byssos-Meister, die ihre Rolle auf eine besondere Art der Übergabe weitergeben. Vor einigen Jahren tauchte Frau Maria Maddalena, Chiaras Großmutter, bei Sonnenuntergang ins Meer ein und mit ihrem Seidenkleid ging sie den sich im Wasser spiegelnden Strahlen der untergehenden Sonne entlang, dann kehrte sie zum Ufer zurück und als sie die Worte des Rituals ausgesprochen hatte, öffnete sie ihre von den Händen der Enkelin umschlossene Faust und schenkte ihr einen Ring, einen winzigen goldenen Reifen. Das war der Schwur des Wassers, den Chiara ihrer Großmutter machte, diese Kunst nach den antiken Regeln beizubehalten, die zum Beispiel die Verwendung des Byssos zur persönlichen Bereicherung verbot: der Byssos ist das Gold des Meeres und genau wie das Meer soll er ein Allgemeingut bleiben.

Von diesem Moment an war Chiara Vigo der neue Byssos-Meister. In ihrer Werkstatt auf Sant’Antioco befindet sich der hölzerne Webstuhl, mit dem sie, begleitet von langen Gebetsversen, das wertvolle Material verarbeitet. Es ist ein für Antioco typischer Webstuhl mit Beinen aus Olivenholz und der Weblade sowie der Spindel aus Oleanderholz, die niemals vom Holzwurm angegriffen werden, da das Holz giftige Stoffe beinhaltet.

Im Mittelalter wurde der Byssos für die Gewänder von Päpsten und Königen verwendet und im Jahr 1868 wurden zweitausendsechshundert Steckmuscheln benötigt, um das Hochzeitsgewand der Maria Pia von Savoia, komplett aus Byssos, für die Hochzeit mit dem König von Portugal, zu fertigen. Während man in der Vergangenheit eine große Menge an Garn beträchtlicher Länge erhielt, mit dem 100%iges Byssos-Gewebe gefertigt wurde, bedarf es heute der Intelligenz von Chiara, um diese Tradition aufrecht zu erhalten.

Pinna Nobilis

Pinna Nobilis

Ihr ist es gelungen, das historische Gedenken mit dem Respekt für die Natur in Einklang zu bringen. Bei ihren Studien des Ökosystems ihrer Insel hat sie herausgefunden, dass es nur in einem bestimmten Zeitraum des Jahres möglich ist, die Muschel aus dem Wasser zu nehmen, ohne dem Tier zu schaden. Beim ersten Vollmond im Mai wird der schlammige Grund der Lagune aufgrund der besonderen klimatischen Bedingungen weich, und es ist möglich, das Tier herauszunehmen, die Seide abzuschneiden und es dann wieder an seinen Platz zurück zu legen, ohne ihm Schaden zuzufügen.

BYSSOS - Auf Sardinien das Gold des Meeres

BYSSOS – Auf Sardinien das Gold des Meeres

Die wundervollen, von Chiaras Großmutter gewebten Stücke findet man verstreut in vielen Museen Europas, unter ihnen auch den Mantel, den sie 1942 für eine andere Maria Pia von Savoia fertigte.

Die Werke von Chiara kann man stattdessen in der Stadt Sant’Antioco bewundern. Viele Läden in ihrer Hauptstraße haben Gardinen mit tausenden von dünnen Fäden, in die ein Pfauenpärchen eingewebt ist oder andere traditionelle Motive, alles Arbeiten von Chiara. Die gesamte Insel erzählt von Chiara, die auch ihre Farben mit natürlichen Methoden unter Benutzung von Steinen, Pflanzen, Erde und Meer.

Sant'Antioco

Sant’Antioco

Unter den schönen Stränden, die uns von ihr, von ihrer Großmutter und ihrer wunderbaren Kunst erzählen, befindet sich Cala Lunga, in der sich auch die Ruine eines Phönizierbaus befindet, in der heute die Fischer ihren Fisch zubereiten. Von hier aus, vorbei an Kurven und steilen Abründen zum Meer, hinter einem antiken Wachturm, liegt der kleine Strand von Turri, wo die signora Maria Maddalena Chiara den Byssos geschenkt hat und wo sie vor achtzig Jahren badete.

Strand von Turri

Strand von Turri

Auf der anderen Seite der Insel liegt das Dorf Calasetta (Seidenbucht): von hier stammt Chiaras Familie mit ihren antiken Ursprüngen: aus politischen Gründen wurden sie von Spanien nach Madagascer deportiert und zwischen dem 18. und dem 19. Jahrhundert kamen sie nach Carloforte auf der nahen Insel San Pietro, die für ihre hohe Felsenküste und ihr kristallklaren Meer bekannt ist und ca. 30 Fährenminuten con Calasetta entfernt liegt.

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